Der Drahtzieher  von Klaus Eichner, Ernst Langrock Vernon Walters - ein Geheimdienstgeneral des Kalten Krieges. 288 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag, 2005 Zeit- und Militärgeschichte Band 17, 18.00 € Bestell-Nr. 08017

Aktuelle Rezension Siegfried Prokop schrieb in Neues Deutschland am 31.03. 2005 »Dort wird es ums Ganze gehen, Dick« Der Mann, um den es in diesem Buch geht, war in vielerlei Hinsicht bemerkenswert.
Sein Leben lang unverheiratet, besuchte Vernon A. Walters (1917 - 2002) nie
eine Universität, ging täglich in die Kirche und sprach fließend
sechs Sprachen. Seine wichtigsten Meriten verdiente er sich als unerschütterlicher
Antikommunist auf dem »Schlachtfeld der Freiheit«.
Wo immer in der Welt eine rechtmäßige Regierung in der zweiten
Hälfte des vorigen Jahrhunderts aus Washingtoner Sicht gegen amerikanische
Interessen verstieß, kam es zu verdeckten Aktionen zum Zwecke eines
Umsturzes, bei denen in der Regel Walters als ein Drahtzieher agierte: so
1953 im Iran beim Sturz der Regierung Mossadegh, in Chile 1973 beim Niedermetzeln
Allendes und 1974 beim Abwürgen der »Nelken«-Revolution in
Portugal. Gemeinsam mit dem Papst in Rom wertete er bei mehreren Besuchen
Geheimdienstmaterial aus, um dem aus Polen stammenden Oberhaupt der katholischen
Kirche die Möglichkeit zu geben, Einfluss auf die politische Entwicklung
im Heimatland zu nehmen. Trotz der überwiegend verwischten Spuren dieser
Geheimdienstkarriere von Walters gelang es Klaus Eichner und Ernst Langrock
durch eifriges Studium des veröffentlichten Materials ein plastisches
Bild dieser US-Version von James Bond zu zeichnen und den Leser mit manchem
interessanten Detail zu überraschen, wobei sie Walters letzte Mission
von 1989 bis 1991 ins Zentrum ihrer Betrachtung rücken.
Walters, der 1989 bereits 72 Jahre alt und eigentlich Ruheständler war,
erhielt kurz vor Neujahr einen Anruf des Präsidenten George W. H. Bush,
sen. Dieser bot ihm an, US-Botschafter in Bonn zu werden: »Dort wird
es ums Ganze gehen. Dick, willst Du mir helfen oder wirst du mich im Stich
lassen?« Am 10. Januar 1989 zitierte die FAZ Walters zu seinem Auftrag
in Bonn: »Eine meiner Hauptaufgaben ist es, die letzte Ölung zu
geben, kurz bevor der Patient stirbt.« Die Bemerkung bezog sich auf
den Realsozialismus in der Phase der Agonie. Die sowjetische Wirtschaft befand
sich in einem Zustand des Verfalls. Nationalitätenkonflikte erschütterten
das Land. Der fluchtartige Abzug sowjetischer Truppen aus Afghanistan offenbarte
eine strategische Niederlage. Mit der Rücknahme der »Breshnew-Doktrin«
signalisierte Michail Gorbatschow dem Westen »Verhandlungsbereitschaft«.
Sollte das ganze osteuropäische System zum Einsturz gebracht werden,
musste aus Washingtoner Sicht zuerst der mittelosteuropäische »weiche
Unterleib« der UdSSR aufgerollt werden und nach Möglichkeit die
DDR durch Einverleibung in die Bundesrepublik verschwinden (»dem sowjetischen
Sicherheitssystem das Herz herausreißen« – Brent Scowcroft,
Sicherheitsberater des US-Präsidenten).
Walters wurde im April 1989 als außerordentlicher und bevollmächtigter
Botschafter der Vereinigten Staaten in der Bundesrepublik akkreditiert. Er
tat eben genau dies, was Washington von ihm erwartete und in der »Grand
Strategy« vom 18. Dezember 1988 konzipiert hatte. Walters registrierte
mit Genugtuung, dass bestimmte Bonner Politiker dem Kurs auf einen äußerst
schnellen Anschluss der DDR zu folgen bereit waren. Dazu zählte Bundeskanzler
Helmut Kohl, Kanzleramtschef Seiters und Kohls Berater Teltschick. Eine andere
Rolle in der Sicht von Walters spielte Außenminister Hans-Dietrich Genscher.
Dieser schien der amerikanischen Präsenz in Europa nicht mehr die Rolle
beizumessen wie früher. Walters manövrierte deshalb über seine
Direktkontakte zum Bundeskanzleramt systematisch das Bonner Auswärtige
Amt und Hans-Dietrich Genscher ins Abseits. Walters Drahtzieherei ging soweit,
dass er sogar das US-Militärflugzeug organisierte, das den überraschten
Helmut Kohl, der sich zur Zeit des Mauerfalls in Warschau aufhielt, nach Berlin
brachte, um gerade noch rechtzeitig das Deutschlandlied anzustimmen.
Walters konnte im Juni 1991 bereits wieder seinen Alterssitz in Florida beziehen,
nachdem er seinem Präsidenten gemeldet hatte: »Mission accomplished.«
Den stillen Tod der Sowjetunion – symbolisiert durch das letztmalige
Einholen der Fahne mit dem Hammer- und Sichelemblem über dem Kreml am
25. Dezember 1991 – erlebte Walters an seinem Fernseher mit.
Zu Recht stellen die Verfasser die Frage, ob die Verantwortlichen in der Sowjetunion
und in der DDR dieses Signal, das mit dem Einsatz von Walters gegeben wurde,
erkannt hatten? Sie kommen zu dem Schluss, dass dies nicht der Fall war: »Haben
wir nicht immer gesungen: ›Völker hört die Signale«...
Aber die andere Seite bläst zum... ›letzten Gefecht‹ und
wir hören keine Signale mehr.«
Diesem spannend geschriebenem Buch, sind zahlreiche Leser zu wünschen.
Es markiert einen wichtigen Mosaikstein jener auf den ersten Blick verwirrenden
Ereignisse und Prozesse der Wendezeit von 1989 bis 1991. Für den Fall,
dass eine zu wünschende zweite Auflage vorzubereiten ist, sollten einige
Ungenauigkeiten korrigiert werden. Der U-2- Zwischenfall 1960 ließ die
in Paris geplante Gipfelkonferenz platzen, nicht die Genfer Gespräche.
ERP ist die Abkürzung von European Recovery Program (nicht Plan, wie
im Glossar zu lesen ist)
Ein Anhang mit ursprünglich geheimen Dokumenten der US-Regierung, die
den gegen die sozialistische Gemeinschaft gerichteten Kurs seit 1948 belegen,
rundet die Publikation ab.
Klaus Eichner/ Ernst Langrock: Der Drahtzieher. Vernon A. Walters –
ein Geheimdienstgeneral des Kalten Krieges. Kai Homilius Verlag, Berlin 2005.
277S., geb., 18 EUR.
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